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Der BGH hatte folgenden Sachverhalt rechtlich bewertet: Die beklagte Textileinzelhandelskette musste eines ihrer Geschäfte auf Grundlage des 1. Lockdowns in der Zeit vom 19.03.2020 bis zum 19.04.2020 in Sachsen schließen. Wegen des massiven Rückgangs ihres Nettoumsatzes hat die beklagte Textileinzelhandelskette keine Miete für den Monat April 2020 gezahlt. Staatliche Hilfen habe sie nicht erhalten. Für ihre Mitarbeiter habe sie Kurzarbeit beantragt. Ab Mai 2020 zahlte die beklagte Textileinzelhandelskette ihre Mieter wieder vollständig. Ihr Vermieter klagt nun nach erfolgloser Mahnung auf Zahlung der Miete für den Monat April 2020.
Die Vorinstanzen bewerteten den Fall rechtlich unterschiedlich. Das Landgericht Chemnitz hat die Mieterin zur Zahlung der Miete für den Monat April 2020 verurteilt (Urteil vom 26.08.2020, Az. 4 O 639/20). Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hat die Entscheidung der Vorinstanz teilweise aufgehoben und die Mieterin zur Zahlung der hälftigen Miete für den Monat April 2020 verurteilt (Urteil vom 24.02.2021, Az. 5 U 1782/20). In diesem Zusammenhang verweisen wir auf unseren Bericht zur Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Betriebsschließung vom 22.12.2021.
In seinem Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21 hat der BGH klargestellt, dass ein Mieter von Gewerberaum grundlegend einen Anspruch auf Anpassung des Mietzinses wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB haben kann, wenn sein Betrieb auf Basis einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geschlossen wird. Im Rahmen dieser Bewertung ist eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters nicht erforderlich. Der BGH kommt zunächst zu dem Ergebnis, dass die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften, die Regelungen über das schuldrechtliche Leistungsstörungsrecht und die Vorschrift über den Wegfall der Geschäftsgrundlage durch Art. 240 § 2 EGBGB nicht berührt werden. Denn der Wortlaut dieser Vorschrift bezieht sich allgemein auf eine Beschränkung des Kündigungsrechtes des Vermieters wegen Zahlungsverzuges des Mieters aufgrund behördlicher Schließung der Geschäftsräume. Weiter stellt der BGH fest, dass die coronabedingte (behördliche) Betriebsschließung nicht zu einem Mangel des Mietgegenstandes i. S. v. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB geführt hat. Ein Mangel hätte dann angenommen werden können, wenn die hoheitliche Maßnahme die Beschaffenheit, den Zustand oder die Lage des Mietobjektes tangiert hätte. Die Schließungsanordnung hat jedoch lediglich die Nutzung des Mietobjektes beeinträchtigt und stand nicht im Zusammenhang mit dem Zustand, der Lage oder die Beschaffenheit des Mietobjektes. Das Mietobjekt stand trotz der Nutzungsbeschränkung weiterhin für den vertraglich vereinbarten Mietzweck zur Verfügung. Eine Mietminderung kommt demnach nicht in Betracht. Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen.
Infolge der ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (u. a. Geschäftsschließungen, Kontaktbeschränkungen und die hiermit verbundene Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Lebens) ist vorliegend die große Geschäftslage betroffen. Darunter versteht der BGH, die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. In Anlehnung an Art. 240 § 7 EGBGB wurde hierdurch die Erwartung der Vertragsparteien jedoch schwerwiegend gestört. Der neu geschaffene Art. 240 § 7 EGBGB stellt nämlich eine Art Vermutungsregel dar. Die Vorschrift besagt in Abs. 1 wörtlich: „Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.“
Soweit zwar eine Störung der Geschäftsgrundlage angenommen werden kann, berechtigt diese Annahme allein nicht zur Vertragsanpassung, so der BGH.
Vielmehr verlangt § 313 Abs. 1 BGB als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Eine pauschale Betrachtungsweise lehnt der BGH in diesem Zusammenhang strikt ab.
Für eine mögliche Vertragsanpassung (hier Anpassung des Mietzinses) sind mehrere Faktoren heranzuziehen, u. A.: Die Nachteile, die der Mieter durch die Geschäftsschließung erfährt; die Höhe des Umsatzrückganges; finanzielle Vorteile, die der Mieter aus staatlichen Leistungen oder Versicherungen erhält und die Interessenlage des Vermieters. Hierbei unberücksichtigt bleiben staatliche Unterstützungsleistungen, welche zurückgezahlt werden müssen.
In Anlehnung an diese Grundsatzfeststellung des BGH, hat das OLG Dresden nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Mieterin hatte. Hierbei hat es weiter zu prüfen, ob die nunmehr festzustellenden Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, welches eine Anpassung des Mietvertrages erforderlich macht.
Das Urteil des BGH zur Frage der Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Betriebsschließung ist auf den ersten Blick ein kleiner Erfolg für die betroffenen Gewerbemieter. Positiv ist die Entscheidung dahingehend zu werten, dass Mieter von gewerblich genutzten Räumen im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich einen Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB haben können.
Das Urteil des BGH ist jedoch keine Pauschalentscheidung zugunsten der Mieter. Die Feststellung einer schwerwiegenden Geschäftsgrundlage ist kein Garant für eine Vertragsanpassung, also die Anpassung des Mietzinses, im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB. Die Frage der Unzumutbarkeit orientiert sich weiter an eine Abwägung im Einzelfall. Der Mieter muss zunächst seine wirtschaftlichen Verhältnisse und auch mögliche stattliche Kompensationszahlungen detailliert offenlegen, um überhaupt eine Chance auf Vertragsanpassung zu haben. Ob und inwieweit dann eine Anpassung des Mietzinses erfolgen kann, bleibt weiter der Würdigung der Gerichte vorbehalten.
Autorin: Rebecca Gellert
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