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Der Bundesgerichtshof hat heute die Entscheidungsgründe in dem Verfahren KZR 35/19 über die Revision der Daimler AG gegen das Urteil des OLG Stuttgart vom 04.04.2019 (2 U 101/18) veröffentlicht. Der BGH bestätigt die Kartellbetroffenheit von sämtlichen Fahrzeugen und stellt klar, dass ein Erfahrungssatz für das Entstehen eines Schadens auch ohne eine Koordinierung von Transaktionspreisen gilt. Abschließend bestätigt der Kartellsenat unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Meier-Beck, dass die Verjährung der Schadensersatzansprüche bereits durch die Einleitung von Ermittlungsuntersuchungen gegen die Kartellanten im Januar 2011 gehemmt wurde.
Die LKW-Hersteller DAF, Daimler, IVECO, MAN, Volvo und Renault haben u.a. Bruttolistenpreise und Bruttolistenpreiserhöhungen ausgetauscht und abgestimmt, so dass eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass dies zu höheren Erwerbspreisen geführt hat, da ein vom BGH anerkannter Erfahrungssatz besteht, dass die langjährige und nachhaltige Durchführung eines Kartells häufig zu überhöhten Kosten für die betroffenen Kunden führt. Diesen Grundsatz hat der BGH erst kürzlich im Schienenkartell II Urteil vom 28.01.2020 (KZR 24/17) bestätigt und dieser ist im Rahmen der 9. GWB-Novelle in § 33a Abs. 2 S. 1 GWB nunmehr auch gesetzlich statuiert. Die Klägerin und ihre Töchter sind im Bausektor tätig und erwarben in den Jahren 1997 bis 2011 bis 2006 12 LKW von der Daimler AG.
Nachdem bereits das Landgericht Stuttgart der Klage in erster Instanz dem Grunde nach stattgegeben hat, hat das OLG Stuttgart das Grundurteil aufrechterhalten und die Berufung der Daimler AG im Wesentlichen abgewiesen. Das OLG Stuttgart hat aus der Kommissionsentscheidung (AT.39824 – Trucks) vom 19.07.2016 einen Informationsaustausch abgeleitet und festgestellt, dass auch bei einem solchen Informationsaustausch der wirtschaftliche Erfahrungssatz gilt, dass ein Kartell gebildet und erhalten wird, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise ermöglicht.
Der BGH stellt klar, dass ein Erfahrungssatz für das Entstehen eines Schadens gilt, wenn bei einer hohen Marktabdeckung über einen längeren Zeitraum Preislisten und Listenpreiserhöhungen abgestimmt wurden, auch wenn eine Koordinierung von Endkundenpreisen nicht stattgefunden hat. Es sei ausreichend, dass den Erwerbsvorgängen Chassis zugrunde liegen würden, deren Listenpreise Gegenstand der Wettbewerbsverstöße gewesen seien.
Das OLG Stuttgart hat einen Schadensersatzanspruch der Erwerber angenommen, obwohl es die Wettbewerbsverstöße lediglich als einen Informationsaustausch bewertet hat. Der BGH geht in seiner Begründung darüber hinaus und stellt fest, dass es sich um eine Preiskoordinierung gehandelt habe, die sich „fundamental von einem bloßen Informationsaustausch“ unterscheidet und diese Absprachen dazu geeignet waren, sich auf die individuellen Endkundenpreise auszuwirken.
Im vorliegenden Verfahren wurden auch Schadensersatzansprüche bzgl. einiger Kipper- und Betonmischer-Fahrzeuge geltend gemacht. Der BGH stellt klar, dass sämtliche Erwerbsvorgänge, die im Kartellzeitraum erworben wurden, kartellbetroffen sind; also auch solche LKW, die einer speziellen Verwendung dienen, da auch diesen ein reguläres LKW-Chassis als Basis dient und nicht ersichtlich sei, welche Besonderheiten diese Fahrzeuge aufweisen würden, so dass diese nicht mehr unter die Kartellabsprachen zu subsumieren seien. Es sind auch sämtliche Erwerbsvorgänge bis zum 31.12.2011 kartellbetroffen, da die Bruttolistenpreise für das Jahr 2011 bereits im Jahr 2010 koordiniert wurden.
Entgegen der Auffassung der Daimler AG sind die Schadensersatzansprüche auch nicht verjährt. Es sei nicht auf die förmliche Einleitung des Verfahrens am 20.11.2014 abzustellen, sondern auf die Durchsuchungsmaßnahmen am 19.01.2011, da bereits zu diesem Zeitpunkt Ermittlungsmaßnahmen gegen bestimmte Unternehmen gerichtet worden seien. Der BGH begründet diese Annahme u.a. zutreffend damit, dass es Sinn und Zweck der Verjährungshemmung zuwider laufe, wenn der Geschädigte zur Hemmung der Verjährung bereits eine Klage einreichen müsste, obwohl die Untersuchungsmaßnahmen noch andauern.
Die Daimler AG hat eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung auf die nächste Marktstufe nicht dargetan, so dass sie sich auf den Vorteilsausgleich, den sog. Passing-on-Einwand, nicht wirksam berufen kann. Es sei nicht ersichtlich, wie das klagende Bauunternehmen die gezahlten Preise für die LKW bei seinen Kunden oder bei einem späteren Verkauf eines gebrauchten LKW weitergegeben habe.
Rechtsanwalt Jan-Philippe von Hagen, der an der Verhandlung teilgenommen hat, sagt dazu: „Der BGH hat klargestellt, dass die Wettbewerbsverstöße sich nicht in einem reinen Informationsaustausch erschöpften, sondern eine Koordinierung stattgefunden hat, die sich auf die von den Erwerbern gezahlten Kaufpreise ausgewirkt haben können. Der BGH konnte nicht ausschließen, dass das OLG Stuttgart den Erfahrungssatz, dass Kartelle zu höheren Preisen führen, nicht fallbezogen angewendet hat, so dass es das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das OLG Stuttgart verwiesen hat. Der BGH konnte nicht selbst entscheiden, da es sich um eine tatrichterliche Würdigung der jeweiligen Indizien handelt, die in der Revisionsinstanz nicht vorgenommen werden kann. Die Entscheidung hat über das hiesige Verfahren hinaus erhebliche Bedeutung, da es für hunderte von ähnlich gelagerten Fällen streitentscheidende Hinweise zu den Wettbewerbsverstößen, der Kartellbetroffenheit, der Verjährung und dem Vorteilsausgleich enthält. Auch wenn der BGH das Grundurteil des OLG Stuttgart aufgehoben hat, wird diese Entscheidung der Klägerseite erheblich Aufwind geben.“
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